Im Vorwort zur Jubiläumsschrift 100 Jahre Schweizerischer Sportschützenverband hat der Präsident Heinz Bolli den Status des Sportschiessens wie folgt beschrieben: Die Sportart Schiessen ist in der Schweiz nach wie vor tief verankert als etwas militärisches, traditionelles, gesellschaftspolitisches und "freundeidgenössisches".
Ohne dies zu werten, versuchen wir zusammen mit den Verbänden dem Schiessen als Sportart die Stellung zu geben, die es auch verdient. Allen Schützinnen und Schützen welche in der vergangenen Zeit mit viel Training, Ehrgeiz und Opfer sportliche Erfolge erzielt haben, wäre ungerecht getan, Sie nicht mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie Spitzensportler anderer Sportarten.
So hat sich der Schiesssport wegentwickelt von einer markigen Männergaudi zu einer komplizierten Wissenschaft, zumindest in der Leistungsspitze. Das Schiessen hat sich, wie der amerikanische Meisterschütze Gary Anderson befürchtet, zur "vielleicht kompliziertesten aller Sportarten" entwickelt. Wer mit der Waffe gut sein will, benötigt nicht nur einen hohen Intelligenzquotienten, sondern auch die Fähigkeit zur absoluten Konzentration und eine genaue Kenntnis der eigenen Psyche.
Dennoch ist der Schiesssport keine Angelegenheit für schlaffe Büromenschen. Bei einem Kleinkaliber-Dreistellungskampf ist das bis zu acht Kilogramm schwere Gewehr 120 mal in Anschlag zu bringen. Rechnet man noch die Probeschüsse dazu, so muss eine Gesamtlast von mindestens drei Tonnen gehoben werden. Nach dem Wettkampf hat der Schütze häufig bis zu vier Kilogramm Gewicht verloren. Hinzu kommt eine weitere Besonderheit des Schiessports: Der Schütze muss beim Schuss die Luft anhalten um die Körperschwankungen der Atmung zu eliminieren. Kein Wunder, dass die Sportmediziner von einem guten Schützen erwarten, dass er so leistungsfähig ist wie ein 400-Meter-Läufer.
Und trotzdem ist er – wie der Pilot eines Kampfflugzeuges – das schwächste Glied in einem Mensch-Maschine-System: Die Waffe ist immer besser als derjenige, der sie bedient. Beim Einschiessen eines Luftgewehrs in der Fabrik fliegt die 4,5 Millimeter grosse Kugel 100mal in dasselbe Loch. Der Einschlagdurchmesser ist nach dem Versuch maximal 5 Millimeter gross. Sobald jedoch ein Mensch die Waffe in die Hand nimmt, verschlechtert sich das Ergebnis. Muskeln zittern, der ganze Körper schwankt stets leicht, die Nerven flattern und der Lauf der Waffe wird unruhig. Das Wissen um diese menschlichen Unzulänglichkeiten belasten den Schützen. Es weckt aber auch seinen Ehrgeiz. Er will es der Maschine zeigen...
Was er zeigen will, ist einfach gesagt, aber schwer zu verwirklichen: absolute Körperbeherrschung, die totale Kontrolle aller motorischen Funktionen. Ein guter Schütze kann, was sonst nur indische Yogis beherrschen. Er steuert auch die unbewussten Körperfunktionen mit dem Geist und entwickelt gar einen sechsten Sinn, das Muskelempfinden.
Das Ziel des Trainings ist es, den Körper, vor allem Skelett und Sehen, in eine stabile Situation zu bringen. Das ist verständlich, wenn man weiss, wie unruhig gespannte Muskeln sind. Dasselbe gilt für die Atmung. Gleichzeitig muss der Schütze lernen, seinen Pulsschlag unter bewusster Kontrolle zu halten. Spitzenschützen sind in der Lage während des Zielvorgangs den Puls um bis zu 20 Prozent zu senken. Dadurch wird der starke Herzmuskel, ein weiterer Unruheherd im Körper, ruhiggestellt. Um alle diese Punkte bei jedem Schuss zu beachten hat der Schütze oder die Schützin innerlich eine Art Checkliste. Wenn einer dieser Punkte nicht beachtet wird, wird der Zielvorgang abgebrochen und von neuem gestartet. Damit dieser Vorgang vollautomatisch abläuft, wird er mit Hilfe mentalen Trainings eingeprägt.
Schiessen ist also die Fähigkeit des Menschen, festgelegte Bewegungsabläufe präzise und regelmässig zu wiederholen. Die dafür nötigen technische Fertigkeit, die nötige Kondition und die gute geistige Verfassung müssen durch zielgerichtetes, konsequentes Training erarbeitet werden. Resultate können dabei auf allen Stufen objektiv gemessen werden, woraus eine Dynamik von dauerndem Üben, Auswerten, Analysieren, Planen, Üben und Überprüfen entsteht.
Schützinnen und Schützen der Stufe Regionen trainieren 12-15 Stunden pro
Woche, wobei mit rund sechzig Prozent der grösste Anteil auf die technischen Fertigkeiten, also dem eigentlichen Schiesstraining, abfällt. Die restliche Zeit wird etwa zu gleichen Teilen in die
Steigerung der körperlichen und geistigen Fitness investiert. Um die zeitintensiven Trainings mit Beruf und Familie in Einklang zu bringen, ist eine genaue Trainings- und Wettkampfplanung
unumgänglich. Daniel Nipkow, erfolgreichster Armbrustschütze aller Zeiten und Silbermedalliengewinner an den Olympischen Spielen 1984, hat diese Aspekte wie folgt umschrieben: "Leistungssport ist
mitnichten als Sammelaktion von Medaillen zu verstehen, sondern vielmehr als einmalige Lebens- respektive Persönlichkeitsschulung. Viele ehemalige Leistungssportler sind heute im klassischen
Berufsleben in verantwortungsvollen Positionen tätig."